So ein verrückter Kerl – den ich gerne lese ;) – teilte den Link zu einem Artikel auf sein.de. Dieser Artikel nennt sich:
Transhumanismus: Die größte Gefahr für die Menschheit?
Klar, dass ich da aus der Reserve gelockt werde; immerhin habe ich hier auf meinem Weblog mehr als 60 Artikel zu dem Thema verfasst und maße mir an, doch ein klein Wenig von der Materie begriffen zu haben. Zunächst mal zu sein.de: Ich kannte die Seite bisher nicht, und den Themengebieten nach zu urteilen werde ich die auch nicht näher kennenlernen. Eine Seite, bei der ich nach gefühlten 20 Klicks immer noch nicht weiß, um was es da eigentlich geht, ist mir grundsätzlich suspekt. Mag sein, dass da was nettes hintersteckt; ich werde mich damit hier und jetzt aber nicht weiter befassen. Das Thema ist der Artikel, und seine zwielichtige Haltung zum Transhumanismus. Auch will ich den Artikel jetzt nicht Zeile für Zeile aufbröseln. Teilweise sammelt der Text objektiv und vorbildlich Fakten zu dem Thema; ist als Neueinstieg in selbiges aber nicht wirklich geeignet. Ich will euch auch gleich sagen, warum das so ist.
Der Text wurde von David Rotter verfasst. Dieser Herr Rotter wird in der Autoren-Info mit einem netten Bild vorgestellt. Und direkt daneben steht dann dieser Satz:
glaubt an das Leben.
Ich wage das nicht anzuzweifeln, ich kenne den Herrn ja nicht. Mit auf den Weg geben möchte ich ihm aber mein Verständnis des Transhumanismus; und gleichzeitig auch seine Haltung ein klein wenig kritisch beleuchten. Wer den Text (wird am Ende meines Artikels verlinkt) aufmerksam liest, der liest – nicht nur zwischen den Zeilen – eine gewissen Zukunftsangst heraus. Da frage ich mich doch: Wen man an das Leben glaubt (was für mich schon schwerlich zu begreifen ist…weil ich nicht weiß, wie das gehen soll: Wir leben. Das ist Fakt. Was muss ich da noch glauben?), wie kann man dann Angst vor einer- wie auch immer gearteten – Zukunft haben? Für mich ist das widersprüchlich. Warum das so ist, dazu komme ich gleich. Jedenfalls: Das Leben passiert, da kann man nun Angst vor haben, auf die bösen Transhumanisten schimpfen, die Wahl hat ja jeder für sich. WENN man dann losschimpft, sollte man aber auch wissen, wovon man da spricht. Finde ich.
Ich möchte erstmal nur einen Satz von sein.de raubmordkopieren und meinen Senf dazu abgeben:
Der Transhumanismus offenbart sich für mich als eine Form von Wahnsinn, angetrieben von Allmachtsphantasien und der Angst vor dem Tod.
Aha. Also: Ich bin Transhumanist und wahnsinnig noch dazu. Passt schon. Von Allmachtsphantasien möchte ich mich distanzieren; und die Angst vor dem Tod habe ich möglicherweise mit einigen anderen Menschen des Planeten gemeinsam; damit kann ich gut leben (Nebenher: Was geschieht denn eigentlich NICHT aus der Motivation heraus, dass wir das einzige Tier sind, was seinen Tod (er-)denken kann? Genau: Gar nichts, ALLES was wir tun hängt damit zusammen. Genau deshalb ist dieser Begleitsatzabschnitt reiner Populismus. Irgendwas mit Tod liest sich halt immer dramatischer, nehme ich an….)
Nun mein Statement. Zu dem Text und zu Ihren Ansichten, wehrter Herr Rotter. Der einzige der hier Allmachtsphantasien hat, sind sie. Denn: Nur Menschen die nicht die Weitsicht besitzen, Angst vor ihr haben, die sich nicht mit möglichst vielen Optionen einer menschlichen Zukunft befassen – oder anders: die nicht die Eier in der Hose haben zu sehen, dass wir nur Sternenteile und sonst gar nix sind – glauben daran, dass der Mensch die Krönung der Schöpfung sei. Nur kleingeistige Menschen sehen in der Zukunft eine Bedrohung. Nur Menschen, die – nach meinen Begrifflichkeiten – nicht zu Ende gedacht haben, sagen Sätze wie den hier oben drüber.
99,89% aller Arten und Rassen des Planeten Erde sind in den letzten Jahrtausenden/Jahrmillionen vom Erdboden verschluckt worden. Darwin war da schon recht weit mit seiner Denke; schätze ich. Auch sehe ich (bisher) keinen – aber auch gar keinen! – Grund, warum das mit uns Menschen anders laufen sollte. Die Fakten sprechen für sich: Bis auf einige Mikroben und Unterwasser-Aliens lebt hier nichts mehr von dem, was vor Jahrmillionen noch die Erde bevölkerte.
Deshalb sind die Ängste und Allmachtsphantasien bei Ihnen zu suchen, Herr Rotter, und nicht bei den Transhumanisten (die Ihre Religion übrigens zu großen Teilen mit einem Augenzwinkern betrachten; was Ihnen leider entgangen ist); Ich als Transhumanist weiß: Ich bin nicht Gott, werde es nie sein, und das was nach mir kommt, kommt nach mir, es hat seine Berechtigung und es wird gut so sein, wie es dann eben ist.
Einen habe ich noch:
Es geht um die Entstehung eines Volkes von auserwählten Gott-Menschen, die in den Cyber-Himmel aufsteigen, wo sie als allmächtige und unsterbliche Götter leben, Universen erschaffen, sich mühelos durch Raum und Zeit bewegen und weder natürlichen noch ewigen Gesetzen unterworfen sind. Karma, Wiedergeburt, Sünde und Ethik gelten für diese Wesen nicht mehr, sie haben sich abgekoppelt.
Falsch: Die Transhumanisten haben begriffen, das wir Menschen möglicherweise in (einer evtl. nicht mehr allzu fernen) Zukunft abgelöst werden. Vom Übermenschen, von den Posthumanen, von A.I.'s, von etwas besserem; nennen Sie es wie sie wollen. So geschieht das nämlich seit Abertausenden von Jahren auf diesem Planeten. Manch' einer nannte das dann Evolution.
Etwas einseitig empfinde ich auch den Blickwinkel des Artikel im Bezug auf die transhumanistische Bewegung rein in den USA. Es gibt diese auch in Deutschland: transhumanismus.org -> Schon auf deren Startseite wird der sein.de-Artikel in seiner Grundargumentation ausgehebelt. Lesen Sie mal das hier, Herr Rotter:
Durch den raschen Fortschritt der Technologie wird es den Menschen bald möglich sein, sich auf neuen Wegen selbst zu entfalten. Diese faszinierenden Möglichkeiten bergen aber auch Gefahren: Im extremsten Fall könnten die Zivilisation und die Lebensgrundlage durch ein technisches Desaster gefährdet werden. Jedoch sind wir als Transhumanisten daran interessiert, welche Lösungen neue Technologien bieten können und wie diese am besten, sichersten und verträglichsten eingesetzt werden und wie eben diese Katastrophen vermieden werden können.
Ich sehe da keine Möchtegern-Götter oder gar eine Techno-Elite. Ich sehe – und lese – da mehr Menschlichkeit raus, als Sie in Ihrem Text vermitteln konnten, Herr R. Der Trans-Humanismus beinhaltet das Wort Humanismus nämlich nicht nur als schmückendes Beiwerk.
Der Transhumanismus hat es sich zur Aufgabe gemacht, den beschriebenen (und möglicherweise unausweichlichen) Übergang so humanistisch und ethisch korrekt wie nur irgendwie möglich zu gestalten. Der Transhumanist hat die Weitsicht, die Ihnen fehlt, Herr Rotter. Die Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in den Arsch, wir Menschen bleiben für immer an der Spitze, wird nicht funktionieren. Nicht, wenn es so weitergeht, wie bisher (wovon ich ausgehe. Ausgehen muss) Schon deshalb nicht, weil auch auf Ihrem Planeten irgendwann die Sonne dafür sorgen wird, dass nach dem Inferno eines schwarzen Loches eines weißen Zwerges (zu dem unsere Sonne unweigerlich mutieren wird) nicht mehr viel über bleibt. – Das wiederum nennt sich dann Physik und Astronomie.
Ich bin Transhumanist weil ich glaube, dass die Menschheit ein Ende haben wird. Nicht, weil ich meine eigene Endlichkeit in Frage gestellt sehen möchte. That easy. Sie, Herr Rotter, schließen ihren Text mit dem Satz:
Ich jedenfalls bin ein Terraner.
Ich schließe meinen Text mit den Sätzen:
Ich bin ebenfalls Terraner. Möchte aber doch ganz gerne einmal die Ringe des Saturns besuchen.