‚Im Namen des Konsums‘ (und so)

Für die Interessierten™ gibt es in diesem kurzen Filmchen eigentlich nicht viel neues zu erfahren. Allerdings kann man ja das leidige Thema Weniger ist Mehr nicht oft genug ansprechen. Darf man das denn eigentlich nur, wenn man selber so gutmenschen-mäßig drauf ist und die Moral mit goldenen Löffeln frühstückt? Oder reicht es zu sagen: Ich hasse fliegen, und der Gedanke, dass meine (65qm) Wohnung mir viel zu groß ist, und ich mich verkleinern möchte (auch im Hinblick auf die Dinge, die ich besitze, die mich besitzen) ist mir nicht neu und wird seit ca. 1,5 Jahren (mehr oder weniger) aktiv praktiziert? 

Ich möchte euch kurz von (m)einem Schlüsselerlebnis erzählen, welches mich nachhaltig verändert hat; bzw. meine Denkweise: Das war 2010. Ich sitze vor der Amazon-Webseite. Suche nach einem neuen Outdoor/Wander-Navi. Der Clou: Ich habe ein anderes vor mir liegen. Und zwar das Oregon 45. Welches noch heute nicht für unter 200€ zu haben ist. Ich suche also was besseres, was schnelleres, was teureres. Ich suche, suche und suche. Lese Produktests, blättere Foren bis ich nichts mehr raffe (ihr kennt das). Die komplette Prozedur zog sich so in etwa über vier Stunden hin. 

Dann, der Moment: Ich sitze da (völlig stoned, den Kopf voller Navi-Infos), starre auf das Falk LUX 32 für etwas um die 500€. Mein Mauszeiger schwebt über dem Kaufen Kaufen-Button. Ich bin unentschlossen. Nicht, weil es möglicherweise doch noch ein geileres geben könnte… sondern weil mich der folgende Gedanke trifft. Genau wie ein Blitz:

Junge! 500€! Biste eigentlich total dämlich! Dafür kannst du einmal bis ans Nordkap fahren! Und dein bisheriges Navi – was dir nie auch nur einen Grund gab mit diesem unzufrieden zu sein – einfach mitnehmen. Es tut es doch! Du brauchst kein anderers, neues, nur weil dir irgendeine Outdoor-Zeitung suggeriert, dass du nur ein halber Wandersmann bist, wenn du nicht die neueste Technik am Start hast.

In Kurz: Mir wurde blitzartig klar: Dieser leidige Spruch: Weniger ist mehr… der ist nicht nur ein Spruch. Der ist die blanke Wahrheit!

Ich kaufte mir als kein neues Navi; nutze heute noch liebend gern mein altes, jenes wunderbare Oregon 45. ♥. Auch, weil es mich auf Wanderungen an diesen Schlüsselmoment erinnert; ich beim Wandern immer und immer wieder über diesen Moment…diesen Gedankengang nachdenken muss. Und somit diese irre Idee, das alles so bleiben kann wie es ist, und ich nicht mehr brauche, als ich besitze (eher sogar weniger), immer stärker verinnerlichen kann. Natürlich hat mein Ford KA neun Beulen, mein iPhone 4 sieht aus wie ein Survivalphone, und in meiner Paterren-Bude ist viel zu wenig Licht. 

Allerdings: Ich lebe. Mein Ford wird gefahren bis er einen würdigen Tod stirbt, mein 4S behalte ich solange, bis es den Geist aufgibt, und über den Kauf eines neuen Navis denke ich erst dann wieder nach, wenn es eins mit In-Eye-Funktion geben wird.

War das jetzt zuviel der eigenen Lobpreisung? 

Was ich eigentlich sagen will: Ich habe vor 1,5 Jahren den Punkt entdeckt, an dem mir klar wurde, dass ich weder karrieretechnisch mehr haben will, noch irgendeinen weiteren Konsum-Wunsch hege. Ok, fast keinen (PS4). In Anbetracht meiner früheren Denkweise (größeres Auto, Domblick, 5x Urlaub machen, Kram kaufen) kann ich aber mit ruhigem Gewissen sagen: Es tut sich was. Es hat sich schon was getan. 

Was mir aber auch ganz klar bewusst ist… bzw besser: Ich denke, meine These ist nicht von der Hand zu weisen: Dieser JETZT REICHT ES MIR-Gedanke…der entwickelte sich erst, nachdem ich 14 Jahre im Berufsleben stand (ich bin 32); und das so gut wie ohne Pausen (Schlosser, KFZ-Techniker, Designhaus-Guru, Schuhverkäufer, Internetmagier, etc.). Bedeutet: Vielleicht bedarf es zunächst eines gewißen Wohlstandes (nicht gleichsetzten mit Vermögen oder Reichtum, bitte) um diesen PEAK-Point zu erreichen; respektive zu erleben (Wie erwähnt: 2 Zimmer, Ford Ka, 1-3 Mini-Urlaube im Jahr…ich denke, ich kann mich so eben noch zur gesunden Mittelschicht zählen; wobei mir solches Kategoriendenken zuwider ist). Mag sein. Und genau deshalb muss eine Umverteilung her, genau deshalb wäge ich (als Freizeit-Anarchist) ab, ob ich nicht dieses Jahr mal ein linkes Kreuz machen soll (ist halt die einzige Umverteilungs-Option, die ich in der politischen Landschaft überhaupt noch sehe). Ich kann – ohne mich zu verbiegen – behaupten: Ich erkenne mich im Video wieder, sehe aber auch viele Dinge, die in keinster Weise (mehr) auf mich zutreffen. Ein gutes Gefühl. Welches ich teilen möchte, welches jeder (westlich-geprägte) Mensch einmal erlebt…erfühlt haben sollte. 

Im ersten Jahr meiner Teilzeit-Selbständigkeit erlebte ich, dass mir Rechnungen schreiben plötzlich total Spaß macht. Ich hatte Blut geleckt. Das ging so sechs Monate lang; ich machte den teuersten Urlaub meines Lebens (verdient) und kaufte mir ein iPad. Als nächstes Stand ein neues Wander-Navi auf der Liste. Und dann… kam der eben ausformulierte magische Moment. Was mich interessiert: Wieso kommt dieser Moment bei einigen Menschen vielleicht nie vor? DAS würde ich zu gern mal empirisch untersuchen. Gene? Veranlagung? Verstand? Empathie? Andersherum gefragt: Was ist der Faktor, der die meisten von uns zu Konsumrobotern macht; uns immer Mehr! Mehr! Mehr! denken lässt, ohne jegliche Rücksicht auf irgendwas, fern von Moral, Ethik, Humanismus und Verstand; und das – wo uns doch (hoffentlich) allen klar ist – , dass wir nackt und einsam und ohne irgendwas allesamt mal in die Kiste steigen werden? 

Medien? Werbung? Schwarmverhalten? Eine Mixtur aus alledem? Ich weiß es nicht. 

Ihr vielleicht? 

5 thoughts on “‚Im Namen des Konsums‘ (und so)

  1. rollinger says:

    hehehe kommt mir bekannt vor. Ich würde auch reduzierter leben, aber mit 3 Kinder lebt man in DE sowieso schon reduziert. Das gebrauchte RöhrenTV, das gebrauchte  (dafür riesige)  Auto und täglich wenn es geht mit dem Rad alles erledigen. Der Balkon mit eigenen Tomaten und Berge von Kräuter. Es sind kleine Dinge, man muss nicht gleich im Wald leben.

    Und ich dachte Wohnungen sind teurer wenn man diesen schrecklichen Dom NICHT sehen muss! Mich würde es echt ankotzen dieses Krichendings der Unterdrückung täglich vor mir zu haben.
    Also ich lebte fünf Jahre mit Blick auf den Donnersberg das kostete nicht extra. Aber diese große Bahnhofskirche ist mir ein Rätsel.

    Erzählte ich schon mal wie mich der Kirchenbodyguard da im Domeingang mit seinem Gesang provozieren wollte? Anders Thema.sorry
     

  2. Chris says:

    Hahah, guter Comment. Ja, in der Tat kostet es in Köln 20% (mind.) mehr, wenn man diese Kack-Kirche sehen will. Ehrlich gesagt, hatte ich den Wunsch nie, passte nur ganz gut in den Text (Sinnbildlich für "eine bessere Aussicht") 

  3. Olaf says:

    Es ist unsere Lebensweise, die uns dazu verleitet Geld auszugeben, das wir nicht haben, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, damit Leute beeindruckt sind, die wir eigentlich nicht leiden können. Irgendwann auf der Jagd nach dem Mehr hat jemand das Marketing erfunden, dass uns Glauben macht, materielle Dinge bedeuteten Glück und dienten der Unterscheidbarkeit.

    In gewisser Weise tun sie das ja auch. Das Internet, Mobiltelefone, Computer und Fahrzeuge, alles Produkte, mit denen wir uns frei machen können. Die Betonung liegt auf können, denn immer kann man sich damit auch in Abhängigkeiten begeben. Die Verantwortung ist der Preis für die Freiheit.

    Ganz pauschal wünsche ich mir viel mehr Qualität und Langlebigkeit in den Produkten die ich kaufe. Mehr Useability, weniger Schnickschnack, mehr Verlässlichkeit und Planung – auch eine, die das Ende des Produktes am Anfang mitdenkt. Stichwort Recycling, oder besser noch, C2C. Ich will mein Geld für Technologiesprünge ausgeben und nicht für die Fehler dieser unausgereiften Evolutionen blechen müssen, nur weil die Aktionäre geplante Obsoleszenz geil finden. Genau in diesem ökonomischen, ökologischen und sozial gut durchdachten Denkfehler liegt die Sinnlosigkeit des Konsums. Aber weil alle mittendrin stecken, merkt es keiner. Manche ahnen es höchstens.

    Aber da habe ich einfach keinen Bock mehr drauf, da verfresse und versaufe ich meine sauer verdiente Kohle lieber beim Bio-Bauern, weil wir dann beide was davon haben. Mir geht es da genau wie Dir, Chris. Ich nutze schon seit Jahren ein gebraucht gekauftes Sony Ericsson K810i, mein Laptop ist bereits fünf Jahre alt und vier Mal repariert. Mein Fernseher ist noch immer ein riesen Röhrenklopper und ich denke nicht daran mir einen neuen zu kaufen, solange dieser brav seinen Dienst verrichtet.

    Der Verstand und die Empathie sind die ausschlaggebenden Faktoren, die Dich denken und fühlen und letztlich so handeln lassen, wie Du es tust. Aber Du bist nicht verantwortlich für die Idioten, die das nicht können. Du trägst nur die Konsequenzen, die sich aus ihrem Handeln ergeben.

  4. Vex says:

    Weiß nicht, ob ich den folgenden Satz schonmal bei dir schrub, aber:

    Mein feuchter Traum war es ja schon immer, nur so viel Zeug zu besitzen, dass alles in einen Otto-Normal-Koffer passt. Hat auch den Vorteil, dass Umzüge dadurch extrem erleichtert werden.

  5. Transfektion says:

    Es ist simple Bedürfnisbefriedigung, egal ob aus Prestigestreben oder Bequemlichkeit, in jedem Fall kann man es als Sucht betrachten.
    Ein schönes Beispiel dafür ist Fastfood und Übergewicht. Vielleicht habt ihr schon mal davon gehört, dass in den Saucen schwach abhängig machende Stoffe sein sollen (hab mal was von Rattenstudien dazu gelesen) und dass selbst geringe Mengen über längere Zeit einen veränderten Habitus begünstigen können.

    Beim "Shoppen" (ich verachte dieses Wort so dermaßen) geschieht genau das selbe. Die Steinzeit-Sektion unseres Gehirns meldet sich zurück und belohnt den braven DNA-Träger für sein tolles Kunststückchen mit körpereigenen Drogen.
    Wir sind in jeder Hinsicht alles andere als rational und dennoch entschieden sich Wirtschaftswissenschaftler für das Modell "homo ökonomikus", dass einen rational entscheidenden Menschen abbilden soll, der vollständig informiert, allein durch eine Kosten-Nutzen-Kalkulation seine Entscheidungen trifft …
    Würden die ganzen Girlies beim Anblick neuer Schuhe zuerst ob der versprochenen Freuden in blankes Entzücken verfallen und dann in Tränen ausbrechen, wenn die Kinderarbeit (etc.) auf der Kostenseite auftaucht, dass Wort "Shoppen" hätte sich nicht so weit in unserer Gesellschaft verbreitet und würde heute nicht für ein akzeptiertes Hobby stehen.

    Hausaufgabe:
    Wenn du eine Freundin hast, die du auf keinen Fall verlieren willst, kleb ihr nachts, wenn ihr zusammen schlaft ein Nikotin-Pflaster auf die Haut. Die Entzugserscheinungen werden euch zeigen, wie wahrhaftig Liebe sein kann :)

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