Menschenranking


In einem seiner wilden Sci-Fi Bücher beschreibt Charles Stross eine Zukunft, in der Menschen wie Aktien bewertet (und ebenso gehandelt) werden. Leider wird diese Idee im  Roman nur angeteasert; sie hat keine effektive Auswirkung auf den Fortgang der Geschichte. 

Nimmt man den Ansatz von RecommendationEngines (Empfehlungs-Software), denkt mal an die allgemeine Entwicklung von Bewertungssystemen im Internet; und verknüpft das Ganze dann noch mit der Idee des (kommenden?) Internet der Dinge, könnte man zum Schluss kommen, dass wir neben Page-Rankings und Toplisten, auch noch Platz für was menschlich(er)es haben sollten: Menschen-Ranglisten! Forbes deluxe! …von allen. Für Alle. Für Alles. Heal the world und fuck you. 

Schon jetzt dienen soziale Netzwerke nicht nur der sozialen Vernetzung, sondern sind auch Gradmesser und Indikatoren für die Wertigkeit der Verpflechtungen innerhalb dieser Netze und Netzwerklisten. Ein Beispiel: Werbefachmann X checkt den Vernetzungsgrad von Blogger Y, entdeckt bei der Recherche, das Blogger Y ja ziemlich gut mit Blogger Z vernetzt ist. Nehmen wir nun weiter an, Blogger Z ist in seiner Nische ein sogenannter Meinungsführer. Nun könnte also Werbefachmann X (theoretisch) auf die Idee kommen, die Wertigkeit von Blogger Y aufgrund seiner Vernetzung mit einem Meinungsführer (Blogger Z) höher einzuschätzen. Klingt alles sehr trocken und theoretisch, spiegelt aber einen Prozess der Werbewelt im Jahre 2011 wieder.

Die logische Konsequenz dieser Art der digitalen Personenbewertung ist ergo eine Ausweitung des Konzepts auf alle Menschen (zukünftig: auf alle Dinge!), die sich im Web aufhalten. 

…und schon gibt's ne App dafür: Hashable

Statt an Orten “checkt” der Nutzer soziale Aktionen mit Menschen ein. Daraus entsteht ein Reputationssystem – der “Pagerank für Menschen”. Er dürfte das nächste grosse Ding werden.(Netzwertig)

Ei der Daus! That's Fuckin' Cyberpunk! (O__o)

Bevor ich mich nun selbst in Mitleid ertränke, weil sich die Welt einfach zu schnell für mich dreht, hau' ich hier lieber 'n paar Fragen rein, die mir beim Durchdenken der (Un-)Möglichkeiten dieser neuen Technologie so durch's Hirn zucken:

Stellen Startups künftig nur noch Menschen mit einem 'Mindest-Human-Rank von 5' ein?

Werden Meetings nur noch mit 'High-Level gerankten' Personen abgehalten?

Wie viele 'erste Dates' scheitern an einem 'nicht passablem Human-Rank'? 

Wieso lassen Startups nicht mal einen Philosophen oder einen Ethiker am Produkt mitentwickeln? 

Bin ich eigentlich altmodisch oder eher Cyborg? 

Fragen über Fragen. Diese App/dieses Tool bringt mich in die klassische Bredouille des zweischneidigen Schwertes: Auf der einen Seite kann ich mich für die immer schneller voranschreitende Entwicklung solcher Anwendungen begeistern und reite gerne auf der Enthusiasmus-Welle verquerer Nerds (who?), die in solchen Apps das Heil der medial-vernetzten Zukunft sehen.

(Hinter dem Marketingbegriff 'true' network verbirgt sich übrigens ein äußerst gemeingefährlicher Marketing-Roboter)

Andererseits graust es mich bei dem Gedanken, dass wir mittels solcher Apps den (für mich) fragwürdigen Gedanken des hierarchischen  Systems nicht nur fördern, sondern quasi seine Umsetzung erzwingen. Laut Darwin hat die Evolution eine Abkehr von Hierarchie und Geltungsdrang erst so für ca. 2055 vorgesehen. Das Tool kommt also zu früh. Wie zum Beispiel auch 'ne Marslandung. Oder das CERN. Mit seinen talibanistischen Kernspaltereien. Oder die Idee, wir könnten uns in den nächsten 20 Jahren mit den Übermenschen anlegen. Oder. Oder. Oder. Schwachsinn.

Ich möchte nicht zum Boykott dieses Tools (oder Tools dieser Art; die sicher kommen werden) aufrufen. Drüber nachdenken sollten wir aber alle mal. Nur so. Für 'nen kleinen Moment.

Lieber komme ich noch mal auf Charlie Stross und seine Sci-Fi-Fantastereien zurück. Der gravierendste Unterschied zwischen unserem Universum, und dem, in dem ein solches Human-Ranking bereits etabliert wurde und auch funktioniert, liegt auf der Hand: In Charlies Parallelwelt ist der Mensch bereits in den Vorgang der Ablösung involviert. Bessere, ausgebautere, weitsichtigere Lebewesen haben für eine faire Umverteilung gesorgt, lenken die Geschicke des Planeten, bauen die Galaxie zu einem Matroschka-Gehirn aus und rauchen Joints mal eben so nebenher. Soweit sind wir aber längst nicht.

Es darf bezweifelt werden, ob wir einen solchen Punkt überhaupt jemals erreichen können und werden. In Zeiten von Anti-Demokratisierung, Neo-Kolonialismus, Oil-Peak und anderen Highlights, die aus der industriellen Revolution und ihrer kleinen Schwester – dem Informationszeitalter – resultieren, behaupte ich:

Das einsortieren von Menschen in Rankingsysteme bringt uns derzeit nicht wirklich voran. 

Liebe und Anfassen halte ich da für weitaus richtiger wichtiger.

6 thoughts on “Menschenranking

  1. daMax says:

    Ich bin leider ziemlich in Eile, sonst würde ich ordentlich was dazu schreiben. In aller Kürze sag ich nur "BILD dir deine Meinung". Wer denkt, sich mit sowas eine Meinung bilden zu können (und das werden nicht wenige sein), ist halt ein bisschen beschränkt. Die werden dann tatsächlich ein erstes Date wegen zu geringem Humanranking sausen lassen.
     
    Mir doch egal :) ich werde zwar demnächst im Ranking steigen (wie? wird noch nicht verraten!), aber trotzdem ist und bleibt mir solches Ranking piepe und ich werde mir auch in Zukunft lieber selber meine Meinung bilden anstatt sie von PR-Fuzzi-Algorithmen bilden zu lassen.

  2. rollinger says:

    Ich schließe mich daMax an. Den Deine Fragen sind ja jetzt schon so. Da sitzen Leute in Meetings die von nichts eine Ahnung haben aber per Dienstjahre Deine Vorgesetzten sind. Bei direkter Ansprache wird man komsich oder schief angeguckt. Das muss man ignorieren und zuschauen wie die sich in die Scheiße reiten. Was für ein Spaß.

  3. CyberPunk says:

    Das erinnert mich an das Buch "Backup" von Cory Doctorow. Falls nicht bekannt ist in diesem Buch die Währung die eigene Reputation. Ist man angesehen, ist man Reich. Mag einen keiner ist man Arm. Wenn ich das richtig im Kopf hab, dann konnte man auch, über eine "Brille" mit Netzzugang direkt die Reputation des gegenübers sehen und so einschätzen ob derjenige Kohle hat oder nicht.
    Hat mir sehr gut gefallen btw.

  4. rollinger says:

    Danke für den Buchtipp. Aber was ist daran neu? Heute sieht man das nicht durch die Brille, sondern an der Brille.
    Wir sind da schon viel weiter. Es ist bereits eingetreten. Als SF Autor muss das heute auch schlimm sein. Täglich ist dein kritischer Roman veraltet. Bankgeheimnis adé, Fingerabdrücke im Pass, überall Kameras, Paybackkarten, vollelektronische Mautsysteme etc.

  5. Ganta says:

    Deswegen verweigere ich mich auch StudiVZ, Facebook & Co. Für mich nichts weiter als billig gemachte Homepages gekoppelt mit einem künstlichen Beliebtheitswettbewerb.
    Das ist keine kapitalistische, sondern eine emotional-soziale Seifenblase: viel Zeit und Emotionen wird investiert ohne reellen Gegenwert.
    In dem (schlechten) Film Futuresport gibt es als Seitenhieb auch solche Beliebtheitsrankings, und die Darsteller witzeln wer wieviel Punkte mehr auf der Skala hat oder nicht.

  6. Chris says:

    @Max: Du machst es aber spannend. Jetzt frage ich mich: Welches intergalaktische Ranking mag das sein, in dem welche wie DU aufsteigen!? ;)

    @rollinger: Spaß? Siehste mich lachen? Ja, gut , okay… ;)

    @CP: Hab leider bishe nur den kleinen Bruder gelesen, DAS hole ich aber nach, danke für den Hinweis! 

    @rolly: Aber gerne. (Ich habe nur vergessen wie es hieß^^) Jeps…zur Brille: http://doktorsblog.de/2009/06/05/interaktive-datenbrille-nu-aber/ -> mit der würde es nicht mal auffallen.. HumanRank: Check! Figur: Check! Vernetzung: Fail! 

    @Ganta: Verständlich! Allerdings überwiegen bei meinem Nutzungsverhalten (noch) die positiven Aspekte. Allerdings: Wenn ich NICHT in dieser beknackten Branche tätig wäre…ich weiß nicht, ob ich meinen Acc da noch hätte…

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