offener brief

Olaf’s Offener Brief an Bruder Paulus

Olaf hat einen offenen Brief an Bruder Paulus geschrieben. Besagter Pater Paule saß gestern bei Hart aber Fair zum Thema Sterbehilfe. Ihm wurde dauernd kalt, bei dem Gedanken daran, dass Menschen selbstbestimmt und in/mit Würde sterben könnten. Kalt? Ja. Kalt.

Pathetisch. Ekelhaft. Hirnverbrannt. Was für'n verbohrter armseliger Christ. Ich sah die Sendung auch. Zu Beginn hatte ich fast noch Mitleid mit dem Schaf. Als ihm dann aber zum Dritten mal kalt um's Herz wurde, ….bin ich fast ausgeflippt. Dieser Seelenfänger sitzt da im TV, ist vollkommen wahnsinnig, religiös, unglaubwürdig und wenn es nach ihm ginge, kämen Selbstmörder in die Hölle. Das hat der zwar nicht gesagt…aber ich SEHE das er so 'ne Kacke denkt. Glaubt. Meint. Was weiß ich, was in solchen Schädeln vor sich geht. Andererseits: Was willste erwarten, von einem, der ein Produkt Namens Bruder Paulus-Call verkaut? Mich nervt einfach, dass so einer überhaupt irgendwo irgendwie was zu sagen hat; was sagen darf, möglicherweise Gehör findet. Ja Ja, Demokratie my ass! Ich bin ja dabei; aber lassen wir die Honks doch einfach draußen.

Jedenfalls: Olaf und der Brief. Hier ist der, ohne weiteren Kommentar, aber im Geiste unterschrieben von mir: 


Offener Brief an Bruder Paulus – Sie machen mir Angst!

Den nachfolgenden offen Brief habe ich heute an Bruder Paulus, Guardian des Kapuzinerklosters Liebfrauen in Frankfurt am Main, geschickt. Der Grund dafür war die gestern (19.11.2012) vom Ersten ausgestrahlte Talkshow “Hart aber Fair”, bei der Bruder Paulus gegen die ärztlich assistierte Selbsttötung argumentierte. Die Art seiner Argumentation, und die Argumente als solche, haben mich veranlasst, ihm zu schreiben.

Sehr geehrter Bruder Paulus,

seit längerem schon beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Sterbehilfe, stehe ich doch eventuell mit meiner an einer schweren Form des Post-Polio-Syndroms (PPS) leidenden Mutter vor genau diesem, tief in unser beider Leben eingreifenden, Ereignis. Gestern sah ich Sie in der ARD bei “hart aber fair” in der Diskussion “Mut zur Menschlichkeit oder Mord – darf ein Arzt beim Sterben helfen?” und muss sagen, dass ich nachhaltig von Ihnen beeindruckt bin. Leider nicht positiv. Denn Sie, Bruder Paulus, machen mir Angst.

Vor allem Ihre Art zu argumentieren, die Annahmen, die Sie haben und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, beschäftigen mich sehr. Gleichwohl Sie immer wieder bemüht sind zu betonen, wie groß Ihre Erfahrungen bei der Seelsorge mit Sterbenden und Sterbewilligen sind, habe ich bei Ihnen nicht ein einziges Mal die Eigenschaft gespürt, die für Sterbebegleiter so wesentlich, so wichtig und unverzichtbar ist und die sich Ihre Religion auf die Fahnen geschrieben hat: Menschlichkeit.

Nicht nur dem Thema als solchem treten Sie mit einer atemberaubenden Überheblichkeit gegenüber, sondern auch dem Sterbehelfer Dr. Arnold und – das ist wahrlich Infamie – den Sterbewilligen und ihren Angehörigen. Ich möchte mich gerne mit einigen Ihrer Argumente auseinandersetzen und erlaube mir, sie als Zitate aus der Sendung heraus zu transkribieren und gegenzureden. Gleich in Ihrer ersten Redezeit sagen Sie:

“Die Stimme aus dem Herzen wird einem Sterbewilligen sagen, dass er die ihm auferlegte Bürde tragen kann bzw. muss, wenn er Menschen findet, die ihm nicht den Giftbecher reichen. Wenn natürlich einer kommt und den Giftbecher reicht, dann ist das klar. Das ist ja einfach. So leicht kann man schon die Leute sich einfach vom Acker machen lassen.”

Nein, sterben ist nicht einfach. Auch nicht für die, die sterben wollen. Nehmen wir als Beispiel meine Mutter. Ihr bräuchte niemand den Giftbecher zu reichen, wenn sie eventuell zu dem Entschluss kommt, sterben zu wollen. Sie würde ihn selber nehmen. Ihr einziges Problem ist, dass sie keinen solchen Giftbecher (Stichwort: Pentobarbital) hat, den sie nehmen könnte und der ihr ein humanes Sterben, oder wie Sie sagen, “sich vom Acker machen”, ermöglicht. Allerdings lebt meine Mutter in einem seit 70 Jahren schmerzenden Körper, der zunehmend und sichtbar verfällt und dessen Schicksal so sicher ist, wie das Amen in Ihrer Kirche. Ihr Tod wird, wenn sie nicht zufällig durch irgendeinen anderen Grund oder durch Selbsttötung stirbt, langandauernd und qualvoll sein.

Für meine Mutter, ihren Verstand, ihre Seele und ihren Körper, ist das Gewissheit. Seien Sie versichert, dass sie in ihrer langen Leidenszeit viele Bücher gelesen, Unterhaltungen geführt und sich Informationen – vielleicht sogar Material? – beschafft hat, um ihrem Leben ein einigermaßen würdevolles Ende bereiten zu können. Tödliche Substanzen sind für sie nicht unerreichbar. Obwohl sie es könnte, hat sie bis heute nichts unternommen um zu sterben. Denn noch ist ihr Leben trotz der Umstände lebenswert. Das gilt aber nur so lange, wie es ein Fünkchen Hoffnung auf Besserung oder wenigstens den Erhalt des Status Quo gibt, der darin besteht, nur so wenig Schmerzen zu haben, dass ein selbstbestimmtes- und organisiertes Leben machbar ist. Wie gesagt, sterben ist nicht einfach. Auch nicht für die, die sterben wollen.

Menschen wie meiner Mutter geht es um die Option, die sie selbstbestimmt wählen wollen, wenn sie ihre Qualen nicht mehr aushalten können. Es nützt ihr überhaupt nichts, wenn man ihr Schicksal mit ihr teilt, aber selbst die stärksten Schmerzmittel nichts mehr ausrichten können. Und nein, sie muss diese ihr auferlegte (?) Bürde nicht tragen, wenn sie das nicht will. Nicht einmal ich, ihr Sohn mit allergrößtem Interesse an ihrem Weiterleben, maße mir an, so etwas von ihr zu erwarten, geschweige denn zu fordern. Wenn die Stimme im Herzen des Sterbewilligen deutlich sagt, dass er die Bürde nicht tragen kann und will, und wenn der Sterbewillige das wiederholt klar äußert, dann sollten vor allem auch die Leute zurücktreten und schweigen, die ihm, aus welchen Gründen auch immer, nicht den Giftbecher zu reichen bereit sind. Das gebietet einfach der Anstand unserer Zeit.

Ich denke, es liegt an Ihrer Weltsicht, dass Sie den Wunsch eines Menschen, sterben zu wollen, nicht verstehen können. Das ist vollkommen in Ordnung und ich mache Ihnen sicher keinen Vorwurf daraus. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist ihre Art, wie Sie ihr Nichtverstehen über andere Menschen auszubreiten versuchen und sich dabei auch noch gehörig im Ton vergreifen.

“Sie waren es offensichtlich nicht wert, dass Ihre Frau sich Ihnen anvertraut hat.”

Das sagen Sie dem Schweizer Studiogast Walter Bolinger, der unter Mithilfe von “Exit” seiner an Alzheimer erkrankten Frau beim Sterben geholfen hat. Nach allem, was er von seiner Frau, ihrer Weltsicht und ihrem Willen erzählt hat, sagen Sie so etwas? Nicht nur, dass Sie Herrn Bolinger mit diesem Satz persönlich angegriffen und beleidigt haben dürften, was schon Anmaßung genug ist. Nein, Sie ignorieren den Willen der verstorbenen Frau Bolinger in seiner absoluten Gesamtheit und gerade so, als wäre sie nach ein paar Gesprächen mit Ihnen noch immer am Leben. Das ist für mich keine Anmaßung mehr, das ist Größenwahn. Es ist die Zurschaustellung Ihrer vollkommenen Fehleinschätzung der eigenen Grenzen und Fähigkeiten. 

Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber in diesem Moment haben Sie Ihr Gesicht bei mir verloren. So wie Sie Ihre Ansichten vortragen, wird aus ihrem Angebot zur Lebenshilfe ein unmittelbarer Zwang zum Leben und Leiden, bei dem vehement auf die immer gleiche Stelle geklopft wird. Auf die Schuld. Man muss schon so stark sein wie das Ehepaar Bolinger, um dem auf Dauer widerstehen können. Ich glaube, Sie wissen das.

Interessant finde ich Ihre leider nicht wirklich beantwortete Frage, warum es ein Arzt sein muss, der Menschen beim Sterben hilft. Ihre Einlassung, dass sich Dr. Arnold “hergibt” und “Unheil”, nämlich den Tod, “über die Menschen bringt”, zeigt, welche Antwort sie gerne hören möchten. Ich aber antworte Ihnen, dass es (mehrere) Ärzte sein müssten, die diese gigantisch verantwortungsvolle Aufgabe gemeinsam mit dem Sterbewilligen beschließen und schließlich, bei Entschluss, freiwillig ausführen. Denn nur Mediziner haben das medizinische Fachwissen, das beim selbstbestimmten Sterben garantiert, dass es human und für den Sterbewilligen so wenig belastend wie nur möglich abläuft. Niemand geht zu einem Maurer, weil er einen Gips für seinen gebrochenen Arm benötigt.

Gleich nach Ihrer kurzen und konstruktiven Frage fallen Sie aber zurück in Anmaßungen gegenüber Dr. Arnold:

“Sie könnten denen genauso gut eine Rasierklinge geben und ihnen die Adern aufschneiden. Oder Sie könnten ihnen einen Elektroschock verpassen. Es muss aber jetzt der schöne Tod sein, den der Arzt bringt. Und Sie maßen sich – und meine Vermutung ist, dass natürlich diejenigen, die den Todeswunsch haben, die brauchen noch, weil sie spüren, in sich, dass irgendetwas in mir [ist], was noch nicht ganz ja sagen kann. Sie suchen jetzt den Arzt wie einen neuen Priester auf. Der muss jetzt kommen, und jetzt kommt der Halbgott in weiß und bringt den tödlichen Trunk. Und damit muss es ja wohl in Ordnung sein. Toll!”

Sehr geehrter Bruder Paulus, ich bin ein sehr emphatischer Mensch und man sagt mir nach, ich könnte mich gut in andere Menschen, ihre Gedankenwelten und in die Umstände, in denen sie leben, reinversetzen. Aber bei Ihnen gelingt mir das nicht. Es ist mir absolut unbegreiflich, wie Sie von der Frage nach dem Arzt auf Rasierklingen, aufgeschnittene Adern und Elektroschocks kommen? Ich bitte Sie, ein ärztlicher Sterbehelfer von heute ist doch nicht mit dem mittelalterlichen Gevatter Tod, der blutig mit seiner Sense die Menschen niedermäht, vergleichbar! Weshalb versuchen Sie den Zuschauern solche uralten Bilder in den Verstand zu malen? Weil Ihnen wegen Ihres Nichtverstehens kalt wird? Oder weil Ihnen ihre religiösen Dogmen das Verstehen verbieten, Sie aber Antworten benötigen? Da geht es mir wie Dr. Arnold und dem applaudierenden Studiopublikum. Es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Mehr noch, ich bekomme Angst. Angst vor Ihnen.

Die Frage die mich umtreibt ist, ob meine Angst Ihnen gegenüber berechtigt ist. Das hat mich beinahe die ganze Nacht nicht schlafen lassen. Deshalb möchte ich auf ein kleines Stück Ihrer Aussage noch etwas genauer schauen, weil ich glaube, dass Sie da eine Unsicherheit zeigen, die so gar nicht zu Ihrem Auftreten passt.

“und meine Vermutung ist, dass natürlich diejenigen, die den Todeswunsch haben, die brauchen noch, weil sie spüren, in sich, dass irgendetwas in mir [ist], was noch nicht ganz ja sagen kann.”

Wer hat noch irgendetwas in sich und kann noch nicht ganz ja sagen? Sie oder der Sterbewillige? Und was bedeutet “noch nicht ganz ja sagen kann”? Zweifelt die Stimme in Ihrem Herzen? Möchte sie gerne ja sagen und traut sich nur nicht? Nicht, dass ich Zweifel schlimm fände, ganz im Gegenteil, aber dann sagen Sie es doch einfach. Ich jedenfalls hätte dafür großes Verständnis, sind wir doch alle nur Menschenkinder.Natürlich kann es sein, dass es sich hierbei nur um einen Versprecher handelt und sie mit Ihrer Empathie die Sicht des todkranken, aber nicht sterben wollenden Menschen eingenommen haben. Darauf verlassen will ich mich aber nicht.

Das, wie ich finde ernsthafte, Problem, welches ich mit Ihnen habe, manifestiert sich darin, dass Sie einerseits unsicher und zweifelnd auf mich wirken, Sie sich andererseits aber mit einem von jeglichen Zweifeln bereinigten Tatendrang berufen fühlen, andere Menschen “retten” zu wollen. Sogar dann, wenn sie es nicht wollen. Die Religionen mögen gerne für das verantwortlich sein, was nach dem Tod passiert. Aber vor dem Tod kommt das Sterben und das geht Sie nur dann etwas an, wenn Sie gerufen werden. Wenn es so ist, helfen Sie, nehmen Sie Gott, den Glauben und all Ihre Theologie und spenden Sie Kraft. Ich finde das wunderbar und habe vor dieser Aufgabe höchsten Respekt. Nur wünsche ich mir, dass Sie mit offenen Karten spielen und sagen, dass Ihre eigentliche Aufgabe nicht die Seelsorge, sondern die Seelenfängerei ist. Das ist in Ordnung, wer sich fangen lässt, der will es so.

Aber ich bitte Sie innig und von ganzem Herzen, verschonen Sie meine Mutter, mich und Menschen wie Dr. Arnold mit Ihrer Barmherzigkeit. Hören Sie auf, den Menschen Lasten aufzuzwingen, die sie nicht tragen können und wollen, nur damit Ihr Weltbild keine Risse bekommt. Verteufeln Sie nicht die Sterbehelfer, die einen anderen Weg gehen als Sie für richtig halten. Denn egal, was Sie tun und sagen werden, Sie werden nicht verhindern können, dass sich meine Mutter selbst tötet, wenn sie das als notwendig erachtet. Seien Sie versichert, dass wir uns im Reinen sind und ich meine Mutter nicht alleine lassen werde. Sollte es wegen des Mangels an einem sicher und schnell wirkenden Medikament notwendig werden, bspw. Schläuche durchzuschneiden, damit sie sterben kann, dann werde ich das auf Ihr Verlangen hin tun. Dann muss ich tun, was schon so viele vor mir tun mussten. Auf unmenschliche Weise handeln, damit die Menschlichkeit zum tragen kommt.

Aber natürlich. Gäbe es einen Arzt, der uns dabei hülfe, wäre das ein großes Glück. Einem solchen Mediziner sei versichert, dass ich niemals und unter keinen Umständen sein Tun und seinen Namen Preis gäbe. Gäbe er uns doch die Chance in Würde, mit klarem Verstand und so wie es uns gefällt, Abschied zu nehmen.