Das nomadische Jahrhundert

Herr Merz hat also „ein Problem mit dem Stadtbild“ und träumt mit seinesgleichen (Spahn, Dobrindt, AfD, Der III. Weg, etc.) wahrscheinlich des Nachts von national befreiten Zonen. Wohin das führt, möchte man sich nicht ausmalen. Ich persönlich habe nur dann ein Problem mit dem Stadtbild, wenn Herr Merz durchläuft. Aus diesem Anlass passt dieser Blogpost heute ganz gut, denke ich.

Aus dem Buch: Das nomadische Jahrhundert: Wie die Klima-Migration unsere Welt verändern wird von Gaia Vince. Erschienen im Piper Verlag.


Unsere erst in jüngerer Zeit erfundenen Grenzkontrollen und unsere erst kürzlich angenommenen Einstellungen zu nationalen Identitäten und Migranten bereiten uns allen gewaltige und unnötige Schwierigkeiten: Menschen sitzen überall auf der Welt unter schrecklichen, oft tödlichen Umständen in der Falle, anstatt dabei zu helfen, ihr eigenes Leben und die Gesellschaften und Volkswirtschaften in Regionen, die sicherer sind [Im Kontext der Klimakatastrophe], zu verbessern.

Immigranten sorgen für mehr volkswirtschaftliches Wachstum, mehr Innovation und mehr Wohlstand, und sie bringen einer Gesellschaft viel mehr ein, als sie diese kosten. Dies beruht zum Teil auf Synergieeffekten, weil sie in die Städte ziehen. Und natürlich haben auch die Immigranten großen Gewinn: Migration ist bei weitem der effektivste Weg aus der Armut. Laut Bryan Caplan, Wirtschaftsprofessor an der George Mason University in Virginia, würde eine Öffnung der Grenzen »zu einer schnellen Beseitigung der absoluten Armut auf der Erde« führen, weil die Menschen an Standorte mit Verdienstmöglichkeiten ziehen könnten.

Außerdem verbessern Migranten die Einkommensverhältnisse und die Wohnungen, die Bildung und die Chancen in den Ländern, die sie verlassen, weil sie ökonomisch mit ihnen weiterhin verbunden bleiben. Die von Migranten geknüpften Netze helfen bei Technologietransfer, Handel und Investitionen sowie beim Transfer von Institutionen und Normen, die das Wachstum verstärken

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Eine große Herausforderung wird darin bestehen, unsere geopolitische Einstellung zu überwinden: die Vorstellung, dass wir zu einem bestimmten Land gehören und dass dieses Land uns gehört. Mit anderen Worten: Wir werden als Flüchtlinge aus bestimmten Ländern kollektiv dazu übergehen müssen, uns als Weltbürger zu fühlen. Wir werden ein Stück von unserer jeweiligen Stammesidentität aufgeben müssen, um eine die ganze Menschheit umfassende Identität anzunehmen. Wir werden uns an die unterschiedlichsten Gesellschaften anpassen müssen, wenn wir in den neuen Städten der Polarregion leben. Und wir werden bereit sein müssen, diese wieder zu verlassen, wenn die Umstände es erfordern.

Mit jedem Grad Klimaerwärmung werden etwa eine Milliarde Menschen aus einer Zone verdrängt, in der seit Jahrtausenden Menschen gelebt haben. Uns verrinnt die Zeit, die wir brauchen, um die kommende Umwälzung zu managen, bevor sie überwältigend und tödlich wird. Migration ist nicht das Problem, sie ist die Lösung.


Gaia Vince erklärt uns also, dass Migration nicht das Problem ist, sondern als natürliche Anpassung verstanden werden kann muss. Die kulturelle Bereicherung und Vielfalt durch Bevölkerungsbewegungen rettet die Spezies und erzählt Geschichten von Kreativität, Kooperation und Resilienz. Ja, das Buch skizziert einige Katastrophenszenarien Ereignishorizonte, die im Kontext Klima und Migration anstehen: Bis 2050 werden sich mindestens eine Milliarde Menschen auf den Weg machen. Und zwar in „unsere Richtung“. Andere Zahlen sprechen von 3 Milliarden.

Wer glaubt das Frontex und die Festung Europa die Lösung ist, hat einen (blauen) Sprung in der Schüssel. Im Gegenteil: Noch nie war die Kooperationsfähigkeit unserer Gattung so wichtig. Es wird Zeit für eine kosmopolitische Demokratie (am besten gepaart mit Reichinneks demokratischem Sozialismus✊) und sichere Flucht- und Migrationswege.

Und Merz so: „Aber das Stadtbild“. Nun ja.

Das Buch bietet aber auch realistische (?) Handlungsoptionen und Hobbygärtner-Szenarien an: Sibirien wird die neue Riviera und in Grönland wachsen Tomaten dann auch bald richtig gut. Lesenswert🌻🍅.

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