Wie langjährige Leser dieses Weblogs mitbekommen haben könnten, pflege ich meine ambivalente Hassliebe zu Herrn Ray Kurzweil in unregelmäßigen Abständen in Form von despektierlichen Blogartikeln. Gerade in letzter Zeit habe ich a) mit meiner Lieblingsfreundin und Nachbarin als auch b) mit zwei neuen Menschen in meinem (Online-)Leben das Themenfeld Transhumanismus mal wieder neu beackert.
Neu beackert, ausgeleuchtet und als nach wie vor ultraspannend deklariert. Bei all' den bösartigen und humorbefreiten Artikel zu dem Thema ist es nun für mich (mal kurz) an der Zeit, auch die Ernsthaftigkeit dieser Philosophie anzuerkennen (Ja, ich deklariere den Transhumanismus als philosophische Denkrichtung; alles andere halte ich – mittlerweile – für überzogen). Ich möchte also nun – frei von jeglicher Satire – mal 'ne Lanze für den Transhumanismus – als auch für eine seiner Lichtgestalten – brechen: Für den Ray nämlich.
Oft wird man ja mit großen Augen beäugt, wenn man von der Möglichkeit der Unsterblichkeit spricht , über Kryonik und Cyborgs philosophiert oder über Biohacking am eigenen Penis Körper referiert. Um all' diesen Ungläubigen Skeptikern mal eine These entgegenzuwerfen, dachte ich, ich könnte ja mal mit dem Stilmittel des Vergleiches aufschlagen.
So gut wie alle großen Vordenker, Revolutionäre und Helden der Geschichte wurden (zu Lebzeiten) für wahnsinnig erklärt. Weil sie mit ihren Ideen, Thesen und Forschungsarbeiten das bis dato vorherrschende Weltbild nicht nur in Frage stellten, sondern – wie Thor mit seinem Hammer -, in Tausende kleine Einzelteile zertrümmerten. Immer flankiert von einem Tabubruch, wie wir ihn uns heute kaum noch vorstellen können.
Können wir nicht? Doch! Können wir. Denn: Wir haben auch in der heutigen Zeit einen Kopernikus, einen Darwin, den wir für verrückt erklären können. Wenn wir das denn wollen. Sein Name ist Ray Kurzweil und er verneint den Tot.
Eigentlich fallen mir persönlich nur zwei Schwergewicht der Geschichte ein, die ein ähnliches Weltbild-Gewitter auslösten, wie es Ray Kurzweil schafft. Bzw. vielleicht schaffen könnte. Die beiden eben erwähnten nähmlich: Darwin und Kopernikus. Im Gegensatz zu diesen beiden droht Kurzweil allerdings immernoch die evolutionären Senke, in der er verschwinden wird, sollte er sein Ziel des ewigen Lebens nicht erreichen können. Dann wär' der nämlich neben den großen der Großen nur 'ne kleine billige Fußnote; und sonst gar nichts. Andererseits kann ich mir keine optimalere Besetzung an der Kampf-Gegen-den-Tod-Front vorstellen, als Herrn Kurzweil (Erfinder des Scanners, des Synthesizers, und des ersten Lesegerätes für Blinde). Daher hier nun also meine tabellarisch-gebrochene Lanze für die transhumanistischen Visionen Ideen des Herrn Kurzweil:
- Kopernikus († 1543) -> Zersplatterte wie ein Sternenzerstörer das katholisch-geozentrische Weltbild des Ptolemäus mit der Idee, dass unsere Erde bei weitem nicht das Zentrum des Universums sei. Seine Idee schlug ein wie eine Bombe, wurde bis heute stetig erweitert. Auch wenn sie sich aus heutiger Sicht als zu kurz gedacht darstellt, spüren wir das Nachbeben dieser Erkenntnis bis heute.
- Darwin († 1882) -> Trat viele Ideen und Ansätze aus den Bereichen Theologie, Philosophie und Soziologie mit seiner These der Evolutionstheorie in die Tonne. Freud bezeichnete diese Theorie später als eine der Kränkungen der Eigenliebe der Menschheit. Soviel dazu.
- Kurzweil († kein Todesdatum. Auch nicht in der Zukunft) -> Schockt die (unaufgeklärte) Welt derzeit mit Zukunftsphantastereien, die vom ewigen Leben handeln, als auch mit der Idee, längst verstorbene Menschen wieder ins Leben zurückführen zu wollen (seinen Vater)
Was ich damit sagen will: Die Welt als Mittelpunkt des Universums galt als Non plus ultra. Das wir gemeinsame Vorfahren mit dem Gorilla haben, sprengte das Weltverständnis von Millionen Menschen. Beide Ideen und Thesen sind heute aber keine Ideen und Thesen mehr, sondern anerkannte, faktische Wissenschaft (wer das bezweifelt möge beten. Für sich selbst). Was spricht nun also dagegen, Herrn Kurzweil für voll zu nehmen und seine Idee der Unsterblichkeit als eine Option von vielen Möglichkeiten anzuerkennen? Aus meiner Sicht: Nicht soviel. Auch die Flugzeug-Gebrüder Wright wurden anfangs ob ihrer gotteslästerlichen Vision vom Fliegen belächelt. Und behielten recht. Bis heute.
Fazit: Kurzweil ist ein Visionär, Erfinder und Zukunftsmensch, dem ich – nachdem ich alle meine bereits verfassten Artikel zu ihm und seinen Thesen quer gelesen habe – nun doch mit etwas weniger Sarkasmus – dafür mit mehr Objektivismus – entgegentreten möchte. Denn wenn dieser Satz von ihm zutrifft…
The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology
…möchte ich mir nicht nachsagen lassen, dass ich über den Mann, der Gott endgültig – und nicht so Billo-Nietzsche-Like – sterben ließ, gelacht hätte.
PS: Wer seine Doku Transcendent Man noch nie gesehen hat: Hier ist sie. (Warum die YouTube-Videolink-URL die beiden Buchstaben K und I verhältnismäßig oft beinhaltet… frage ich mich jetzt besser nicht. Reiner Zufall. Nehme ich an….)
Den Transhumanismus eine Philosophie zu nennen ist immer noch deutlich besser als Religion. :)
Klar… nicht alles was Kurzweil von sich gibt ist Gold, aber besticht immer durch eine sehr stringente und simple Logik, der man schwer etwas entgegen setzen kann. Das fasziniert natürlich auch. Der für mich erheblich wichtigere Anreiz, um dem Transhumanismus zu folgen ist eigentlich eher: "Hey, wenn wir es nicht versuchen kommen wir sowieso nicht weiter."
Biohacking ist sowieso interessant. Nicht nur für Kurzweil, der ja den ganzen Tag über Pillen isst, wie andere Bonbons. Vielleicht schaffen wir mit dieser neuen Richtung den ein oder anderen Durchbruch. Und vielleicht wird sogar meine Krankheit (nein…weder Internet, noch Ehe) mal durch genau so etwas geheilt. Aber versuchen müssen wir es.
Ich stimme zu. Zu allem ;)
Ich stimme nicht zu.
Er ist unbestritten ein Visionär, führt sich aber wie ein Orakel auf und auf mich wirkt es so, als ob in letzter Zeit versucht wird, seiner "Bewegung" einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen, was mich enorm ärgert.
(Mir ist schon in mehreren Papers der Stichpunkt "Singularität" als valides Zukunftsszenario präsentiert und damit abgehakt worden.)
Seine Ausführungen sind ZU einfach. Auch unbeschriebene können sie verstehen, wiedergeben und Eigenes rein projizieren. Er bedient sehr klassisch uralte Ängste und Hoffnungen dabei kann man seine exponentiellen Phantasien sehr gut mit einer unüberwindlichen Grenze — die es natürlich zuhauf gibt, von ihm aber nicht erwähnt werden — absägen.
Das Thema Unsterblichkeit ist ebenso davon betroffen.
Absolute Unsterblichkeit ist nach heutigem Wissenstand unmöglich, relative Langlebigkeit hingegen, über mehrere tausend Jahre circa, vielleicht schon aber keiner weiß es mit Sicherheit und was für Konsequenzen darauf folgen.
Gesellschaftlich organisierter (Selbst-)Mord? Psychosen als Todesursache Nr.1? Ein gesellschaftlicher Stillstand/Kollapse durch absolute Risikovermeidung? Oder eine extrem gebildete und uralte Bevölkerungsschicht, die sich für ein freiwilliges Aussterben entscheidet?
Dass das eigene Leben einfach unendlich so weiter geht ist auch so eine super Projektionsfläche für Naivlinge, die sich nicht vorstellen können, jemals alt und müde zu sein.
Für mich ist, was Kurzwil und Co. da treiben pseudowissenschaftliche Bauernfängerei … zugegeben, sie fangen spektakulär ziemlich reiche Bauern.
Auch alles Kritikpunkte, die ich sehe und ebenso wie bod's Kommentar unterschreiben würde.
Das elementare sagst du im letzten Satz: Geld regiert – und bewegt – die Welt. Daher auch mein Satz "wenn ich es wem zutraue"… das der "arme Bauern fängt", ist zwar nicht schön, aber kaum zu ändern. Dann sollen se sich doch lieber von ihm fangen lassen, als von xy. Sich mit dem Transhumanismus zu befassen ist m.E. sinniger, als vieles anderes.
Ich kann die Kritikpunkte auch vollkommen nachvollziehen und empfinde grob das gleiche. Der Mann ist kein Heiliger. Das alles aber nur auf die Unsterblichkeit zu begrenzen, ist auch nicht ganz fair. Die Singularität ist ein Teilbereich des Transhumanismus, wenn auch leider der prominenteste.
Das er seine Thesen einfach darlegt und leicht verständlich unterscheidet Kurzweil ja nur von Menschen, die gerne alles sehr kryptisch und hoch wissenschaftlich klingen lassen möchten, am Ende dann trotzdem Blödsinn von sich geben. Da ist mir ein einfaches Wortbild, welches sich schnell erfassen lässt, erheblich lieber. Interessierte können sich ja dann weiter einlesen, aber zunächst finden mehr Menschen Zugang zu diesem Thema, was in meinen Augen der Sache dient. Je mehr sich mit dem Gesamtkonzept des Transhumanismus befassen, desto höher ist die Chance tatsächlich etwas zu erreichen. Das ist zwar auch keine hochwissenschaftlich verpackte These, leuchtet aber ein, oder?