Arbeit, Struktur, und….

Ich habe seit dem Wochenende das komplette Blog von Wolfgang Herrndorf gelesen. Alles. Jede Zeile, jede Eintrag; viele(s) davon mehrfach. Da der Autor und Blogger Herrndorf selbst nicht allzuviel mit dem Begriff Pietät anzufangen weiß….wusste… möchte auch ich mich nicht allzulange um pietätvolle Formulierungen bemühen: Das was Herrndorf ​da reingetippt hat, hat mich zutiefst bewegt. Er dokumentiert den Verlauf seiner tödlichen Krankheit, schreibt über den Alltag zwischen Freunden, Fußball, Klappse, Klink, Schreiben, Lesen und Natur. Er verteilt nebenbei noch tolle Filmtipps und schwadroniert über weltliterarische Texte, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt.  

Herrndorf  war ein atheistisch-humorvolles Arschloch und wir hätten uns blendend verstanden. Davon bin ich überzeugt. Zu Schade, dass ich ihn nie treffen werde. 

Die Eleganz seiner Worte; die pointierten Beschreibungen völliger Hirn/Hilflosigkeit; das Erkunden der eigenen Verrücktheit, diese Ehrlichkeit gegenüber der Nichtigkeit des Seins, dieser Kampf im inneren, im innersten: Ergreifend. Erheiternd. Amüsant. Traurig. Betrüblich. – Ich habe gelacht, geweint, habe pausiert, wie ein Irrer aufgesaugt, verdaut, durchdacht und den ganzen beschissenen Kosmos verdammt.  – Und nun möchte ich mich in einen Kreis auflösen. 

Lest das doch auch mal (wenn ihr einige Stunden Zeit habt), verkehrt kann das gar nicht sein. 

Und zwar am besten von hinten nach vorne, hier geht es los: wolfgang-herrndorf.de/2010/04/daemmerung

Vor der Lektüre des Blogs hätte meine Antwort auf die Frage, ob ich meinen genauen Todeszeitpunkt wissen wollen würde, ganz klar Nein gelautete. Nur sage ich: Ja! Würde ich wissen wollen (und in der Tat bietet die modere Wissenschaft / Medizin ja an, sich schätzen zu lassen. Ob und wie ich das angehen will, werde ich mir in den nächsten Tagen gut überlegen) 

​Ich stecke (nicht nur wegen eines toten Literaten) gerade in so 'ner nichtsnutzigen Schleife fest; deshalb wird es hier bis auf weiteres auch noch recht ruhig bleiben. 

Bis dahin gilt: Nichts. Sinnlos. Nihilismus. Eh alles zu spät.

Und doch ist es so wunderschön, das alles ♥

7 thoughts on “Arbeit, Struktur, und….

  1. Evelyn says:

    Das ist sehr schade zu lesen. Ich hab mich auch mal durch sein Tagebuch gelesen, zu dem Zeitpunkt schreib er noch. Ich hab seither öfter an ihn gedacht :(

  2. Chris says:

    Jo, der und "das" geht mir auch nicht, öhm, aus dem Kopf.

    Bei einigen Stellen dachte ich, ich habe 32 Jahre lang falsch gedacht…. Traurig, aber so ♥-erwärmend und boshaft, teilweise. 

  3. Olaf says:

    Ja, Herrndorf hat sich hier selbst ein kleines Denkmal gesetzt. Eines, was nicht die Landschaft verschandelt und im Weg rumsteht, dafür aber den Betrachter Leser im Inneren berührt. 

    Über die Frage, ob ich meinen Sterbezeitpunkt kennen möchte oder nicht, habe ich schon sehr oft nachgedacht, weil für meine Mutter die Sterbehilfe eine Option zur Erlösung von ihrem kranken und schmerzenden Körper ist. Insofern kann ich diese Frage für mich nur mit jain beantworten, denn es kommt wohl darauf an, über welche Art des Sterbens ich nachdenke.

    Wäre es ein plötzlicher Tod, der durch irgendein unerwartbares Ereignis eintritt, z. B. durch einen Unfall oder Herzstillstand, dann möchte ich es nicht wissen. Umfallen. Tod. Fertig.

    Würde ich aber, so wie Herrndorf z. B., an einer unheilbaren Krankheit leiden, dann würde ich den Moment meines Sterbens wissen wollen. Damit ich rechtzeitig vorher die Art und den Zeitpunkt meines Abgangs selbst bestimmen könnte. 

    Es geht um dieses kleine Zeitfenster, in dem die Qualen gerade noch ausgehalten werden können, der Körper noch nicht von Behörden und Medizinalunternehmen annektiert wurde und der Verstand noch klar genug ist, um diesen Akt in Würde und Souveränität selbst ausführen zu können.

    Also so wie Herrndorf, wobei ich mir die Frage stelle, weshalb er sich erschoss? Wollte er sich, vielleicht in einer Art verzweifelten Putsch, gegen diesen Tumor aufbäumen und ihn sich aus dem Kopf schießen, damit er, Herrndorf und nicht der Tumor, als Sieger in diesem Kampf hervorgeht? Ich könnte das sehr gut verstehen und es wäre eine Erklärung für diese Gewalt an sich selbst (Wobei das nur Spekulation im Sinne des Themas ist, weil ich nicht weiß und wissen möchte, wie er sich erschoss. Er könnte auch auf sein Herz gezielt haben).

    Oder war er gezwungen sich auf diese – nach meinem Empfinden – recht würdelose Art aus dem Leben zu befördern, weil ihm ein Barbiturat vom Gesetzgeber und bestimmten Lobbygruppen vorenthalten war?

    Der Vorteil beim Wissen um den Sterbezeitpunkt ist der, dass man sich von der Welt verabschieden und seinen Frieden mit ihr machen kann. Man kann aufräumen und den Nachlass organisieren und man bleibt bis zum Schluss selbstbestimmt. Das gilt auch für die Angehörigen und anderweitig vom eigenen Tod betroffenen Menschen. Auch sie können sich verabschieden und loslassen – wenn sie sich denn trauen. Wie das aussehen kann, zeigt der englische Filmemacher Terry Pratchett in seinem Dokumentarfilm "Choosing To Die". Hier sieht man einen Menschen sterben. Und ist ergriffen von der Würde, die diesem Tod inne wohnt.

    Allerdings bezweifle ich, dass das Schätzen des Alters in irgendeiner Form hilfreich bei der Festsetzung eines Sterbetermins ist. Geschätzt, und manchmal auch gefühlt, hätte ich mich da schon vor 10 Jahren vom Acker machen müssen. ;o)

    Ich denke es geht bei dieser Frage um das Substanzielle im Leben. Kann ich noch, oder kann ich nicht mehr? Halte ich es noch aus, oder will ich nicht mehr? Das Entscheidende ist wohl, wenn die Richtung unausweichlich vorbestimmt ist und es keinerlei Hoffnung auf Hilfe oder Besserung mehr gibt. Nur da, in diesem kleinen Zeitfenster (siehe oben), ist diese Entscheidung wirklich treffbar. 

    ***

    Chris, mir geht es grade wie Dir. Ich bin in einer nichtsnutzigen Schleife gefangen. Nur dass ich nebenher noch Spätschicht schieben muss, was mich jeden Tag bis in die Puppen schlafen lässt und weshalb ich keine Zeit und keinen Kopf für irgend etwas habe. Was ich sagen will ist, dass Du/Ihr es mir nicht übel nehmen sollt, weil ich mich bis jetzt noch nicht gemeldet habe. Aber bald… ;o/

    Beste Grüße!

     

     

     

  4. Chris says:

    @Olaf: Zu dem Zeitpunkt: Es geht ja drum, dass man (ich weiß noch nicht so viel darüber) mittels Gen-Test (23andMe, etc) schon sagen kann: Mit 50 geht X los, dann hast du noch max. x Jahre… das würde ich wissen wollen, wenn es denn verlässlich ist; dein Ansatz "Kawumm und weg"…nee DAS will ich auch eher "passieren lassen"…

    "Wie / Warum": Das wird bei der Lektüre recht klar, und ist für mich sehr nachvollziehbar. Nun bin ich auch ab von der These, dass Leute die Lokführer mit "reinziehen" Arschlöcher sind und nicht nachgedacht haben… sind sie nämlich nicht… das wär nun aber zuviel gespoilert…

    Danke für den Doku-Tipp! 

    Ich nehm' dir doch nix übel, wie könnt ich ☻☺☻♥

  5. MUM says:

    Ich kauf' das Buch!

  6. bod says:

    So herrlich, wie die tollen Doktoren einen einfach mit Tavor und Zyprexa abschießen. Hat man anfangs mit mir auch gemacht. Das Zeug macht dich instant zum Zombie, obwohl es dir in dir selbst noch genauso geht. Höllendreck.

    Zum Rest sage ich mal nichts, weil ich demnächst selbst wieder in die Tagesklinik muss.

  7. Chris says:

    … du hast jetzt aber keinen  "Hirntumor", sondern bei dir geht es um den "Kopf". oder?

    (will dir nicht zu nahe treten, mail mir gern, aber irgendwie bin ich gerade besorgt bis verwirrt…) 

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