Next Big Thing: nextdoor.com

Unbenannt

Aus vielerlei Gründen wage ich hier und jetzt eine Prognose zum Thema soziale Vernetzung der Neuzeitnextdoor.com wird – neben dem bereits etablierten Kickstarter-Mechanismus –  das nächste große Dingens im Web. Und möglicherweise auch in der Welt.

Erklärtes Ziel von nextdoor.com ist eine Art Facebook für die Nachbarschaft zu schaffen. Ich mag die Idee, den Gedanken dahinter, und auch die Umsetzung sieht vielversprechend aus (auch wenn der Dienst derzeit noch US-only ist). Globalisierte Vernetzung schließt ein funktionierendes lokales Netzwerk nicht aus. Gerade in Zeiten, in denen ich an mir selbst die Lustlosigkeit am großen blauen Netzwerk feststelle, kommt sowas doch gerade zur rechten Zeit (auch wenn es nextdoor schon seit 2011 gibt). Ich denke nun mal nicht über die negativen Dinge wie Datenkrakerei, Ausverkauf der Nutzer und unsägliches kapitalistisches Gebaren nach, sondern sehe mir die Vorteile an: Deine Katze ist entlaufen? Mit nextdoor findest du sie wieder. Du suchst einen Bio-Metzger im Veedel? Mit nextdoor ist der nur drei Klicks weiter. Du möchtest im Quartier einen Blumengarten anlegen, oder gar einen Zen-Garten? Mit nextdoor findest du Menschen, die mitmachen. Der Gärtner von der Ecke ist der beste der Welt? Mit nextdoor erfährst du erstmalig, dass es den überhaupt gibt. Und dann noch bei dir um's Eck!

Die Mischung aus Banalitäten und technischer Interaktion übt einen großen Reiz auf mich aus. Gerade in Zeiten von mobil und geodata ergeben sich da mannigfaltige Möglichkeiten. Die bei Facebook schlicht nicht existent sind. Wat interessiert mich denn der lahme Karnevalszug in Düsseldorf? Auf Facebook komme ich an diesem nicht vorbei! Auf nextdoor würde ich nie was davon lesen, sehen oder hören. I like.

Bei all' der Euphorie: Es ist von Menschen gemacht und es ist für Menschen gemacht. Das birgt – wie immer –  das Risiko des dämlichen – aber evolutionstechnisch unumgänglichen –  Schwarmverhaltens. Die Masse ist grau und blöde, der einzelne wird es dann vielleicht auch. Die Facebook-Idee, die ganze Welt zu connecten, ist zwar ein netter Ansatz, allerdings in der Praxis auch äußerst umständlich umzusetzen. Außerdem: Will ich wirklich die ganze Welt kennenlernen? Sei es auch nur virtuell? Nein. Ich möchte Teile der Welt kennenlernen. In echt, mit Haut und Haar, mit Gerüchen, mit Speisen und Landschaften. Da kann mir (noch) kein Facebook der Welt bieten, 

Wenn also meine These stimmt, dass viele viele Menschen den Gedanken teilen, dass zurück zum Lokalen, zurück zum direkten Umfeld, weg von der (möglichen) Einsamkeit in Großstädten, weg von der Anonymität der Betonklötze, hin zu mehr Miteinander, vielleicht doch ein brauchbarer Ansatz ist… dann kann das was werden, davon bin ich überzeugt.

Fair Trade unter Nachbarn, Second-Hand mit dem Kerl gegenüber, nachbarschaftliche Interaktionen mit Menschen aus dem nahen Umfeld. Lokale Events, Öffentliche Proteste im Veedel, Aufstand vor der lokalen Discounter-Kasse! Solche Dinge lassen sich heutzutage entweder äußerst unkomfortabel via Facebook umsetzten; oder man etabliert einen Email-Verteiler. Beides Dinge, die dem rasanten technischen Fortschritt mit all seinen Möglichkeiten (GPS; Geodaten, Realtime, Cloud-Computing) in keinster Weise mehr gerecht werden. Da kommt uns sowas wie nextdoor doch gerade recht, würde ich sagen. Dazu noch ein transparentes System, was mir anzeigt, in welcher Gehaltsklasse sich der Nachbar nebenan bewegt, …und alles wird gut. 

Gebt mir größtmögliche Werbefreiheit, eine App die was kann, eine funktionierende Blog-Integration, sammelt noch ordentlich Gelder für eine Internationalisierung…dann bin ich dabei. Ich habe nämlich ab und an die Nase voll von Facebook, frage mich immer öfter: Wer sind denn diese Menschen eigentlich? Ich werde es nie erfahren; die wohnen ja in Berlin. Und da fahr' ich aus Prinzip nicht hin.

Sozialer Neid ist ein Problem und Nextdoor-Networking sicher keine endgültige Lösung. Wenn ein solches Netzwerk die (lokalen) Stühle aber auch nur einen kleinen Ticken enger zusammenrücken lässt: Ich bin dabei! Her damit! Gebt Gas! Ich will es haben! 

8 thoughts on “Next Big Thing: nextdoor.com

  1. Vex says:

    Vorausgesetzt man will etwas mit der Nachbarschaft zu tun haben. : )
    Außerdem, wie groß ist so eine Nachbarschaft? Lassen sich die US-Standarts einer Borough auch auf D. übertragen? Ich weiß nicht. Ich denke, im facebookverwöhnten D. würde das Netzwerk keinen Fuß fassen können.

  2. bod says:

    Du hast einen großen Kritikpunkt bei der Sache übersehen: Man muss unter Umständen mit seinen Nachbarn interagieren. Das will ich aber gar nicht! :D
    Ansonsten hast du natürlich recht. So ein Netzwerk könnte tatsächlich die soziale Kommunikation wieder etwas entfachen. Gerade weil man nicht mehr stumpf auf der Straße oder im Supermarkt aneinander vorbei läuft, sondern vielleicht Sätze wie: "Hey du bist doch der aus der Blahstraße mit dem blahtastischen Haustier!" hört. Facebook ist ja ganz schön um z.B. mit Leuten auf anderen Kontinenten in Kontakt zu bleiben, auch wenn man schon längst nicht mehr dort wohnt. Aber es macht auch faul. Wir beide wohnen auch keine ganze Stunde voneinander entfernt und haben uns noch nie an der Theke gemeinsam über was aufgeregt. Abstriche muss man halt immer machen. Notfalls in Untersuchungsraum 3. Der Doktor kommt gleich zu ihnen. Ich mach mich dann mal frei.

  3. vybzbild says:

    Hi Chris, sehr guter Beitrag, und interessantes Thema!
    Die Idee ist ja nicht ganz neu. Es gibt Seiten wie http://www.wer-kennt-wen.de/ , http://www.freizeitcafe.info und viele andere. Es ist dann oft so, dass wenn genug Geld dahinter steckt, die Leute plötzlich die Idee annehmen. Dazu fallen mir sofort Seiten wie neu.de, zalando.de, trivago.de, opodo.de etc. ein. Die Idee war schon lange vorher da, die Umsetzung auch auf den verschiedensten Portalen… aber durch die Fernsehwerbung kam der Erfolg. TV-Werbung kann sich aber nicht jeder leisten.

    Wie auch immer, ich wäre vermutlich dabei bei nextdoor.com. Das Netzwerk zum „Anfassen“ ist in meinen Augen um einiges interessanter als z. B. FB. Wäre noch die Frage zu klären, wie bei denen mit personenbezogenen Daten umgegangen wird. Und ob die vorhaben, an die Börse zu gehen. Das sind Fragen, die ich nicht außer Acht lassen würde.

    Wenn du nix dagegen hast, verlinke ich deinen Beitrag mal.

    LG
    vybzbild

  4. Chris says:

    @Vex: Also für Köln, oder auch nur Köln-Nord kann das klappen, denke ich. Andere "Kommunen" könnt man ja zusammenfassen.

    @bod: Dann komm doch mal vorbei ;) Topic: Ich merke an mir selber, dass mir diese digitale Sichtschutzwand ab und an ganz gut tut; auch zur Vorfilterung für das Real-Life. Nach dem Prinzip würde ich – der erklärter Teilzeitmisanthrop ist – sogar evtl. mal mit Menschen in Kontakt kommen, die dann DOCH was zu sagen haben, was mich interessiert. DAS finde ich spannend. Im mittlerweile durchvermarktetetn Facebook-Feed hatte ich schon ewig kein AHA-Erlebnis mehr. Das war mal anders; und ich denke so ein SN könnte das wiederbringen, besser machen; eben weil es mich möglicherweise "direkter" Betrifft.

    @vybzbild: Klaro, ich hatte auch Lokalisten im Kopf. Und du hast volkommen recht: Mit Kohle und Marketingpower drückt das viel mehr. Allerdings: Auf Forbes haben die mal die Features des SN analysiert. Da liegen Universen zwischen dem, was WKK macht, und dem, was die machen. Der Ansatz ist ein ähnlicher, die Umsetzung jedoch grundverschieden. Die bei WKW / Lokalisten denken doch immer noch, das Proleten der Mainstream sind und man mit ner PM-Funktion etwas "soziales" schaffen kann. Klar, bei nextdoor werden (zunächst) die Ur-Triebe der US-People angesprochen (Sicherheit, Staat, Fame). Bei uns kann das NUR in einer sehr angepassten Version laufen. Abwarten! ;) 

  5. Chris says:

    Aso: Klar kannst du das verlinken, ich freue mich. Daten: Du kannst da NUR mit echter Adresse mitmachen. In DEM Falle finde ich das top. Man bräuchte nun nur noch eine demokratisch-anarchistisch-flache Kontrollinstanz – möglicherweise von innen heraus – die aufpasst, dass diese Daten NUR für die Zwecke des SN zu nutzen sind. Spannend. 

  6. Robert says:

    Eine sehr spannende Sache. Da gebe ich dir recht, aber diese Community kann leider nicht in jedem Stadtteil funktionieren.  Schau,  ich komme aus Karnap in Essen.  Das ist der Stadtteil mit der höchsten Kriminalitaetsrate im gesamten Rhein-Ruhr-Megaplex. Ich möchte mit meinem Nachbarn einfach nichts zu tun haben. Ich lebe hier,  weil die Wohnungen so angenehm billig sind und ich mich in multikulturellen Virteln einfach wohler fühle.  Zudem bin ich als Programmierer eher introvertiert und misanthrop veranlagt.  Soll nicht bedeuten das ich jeglichen Kontakt mit Menschen vermeide,  sondern ihn nur auf das nötigste reduziere. Zu wissen,  in welcher Gehaltsklasse sich mein Nachbar befindet,  gehört leider nicht dazu.  Ich bin von Natur aus skeptisch.  

  7. bod says:

    Das mit der digitalen Sichtschutzwand ist tatsächlich gut als vorsorgender Filter. Das bei fb eigentlich nur noch Datenschrott den Stream herunter fließt, ist ja klar.
     
    Eine Alternative dazu ist z.B. auch diaspora (http://joindiaspora.com). Da stecken solche Ansätze schon drin, in dem man nicht nur Leuten folgt die man als Person wahrnimmt, sondern Hashtags wie auf Twitter. Zudem kann man das Ding kostenlos auf dem eigenen Server betreiben und so ein mehr oder minder geschlossenes SN für Interessengruppen bilden. 
     
    Eine große Frage ist natürlich noch: Was teile ich denn genau auf nextdoor mit? Wenn ich da meiner Wut über den HipHop hörenden Nachbar freien Lauf lasse, artet das schnell aus. Verlinke ich wissenschaftliche Artikel meiden mich die Nachbarn eventuell auch. Nicht das ich was dagegen hätte. Auf längere Sicht fürchte ich einfach, dass gar nicht genug Redestoff vorhanden ist bei so einem Projekt.

  8. Schöne Lobeshymne auf diesen Dienst- auch ich fände Gefallen an mehr echter, sozialer Vernetzung. Ich hatte das hier schon einmal differenzierter in einem Artikel betrachtet: http://www.freizeitcafe.info/bist-du-everybodys-darling-in-deiner-nachbarschaft-von-neuen-ideen-die-das-fordern-wollen/

Leave a Comment

Your email address will not be published.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner